Manche Gerichte sind wie menschliche Begegnungen: sie rühren etwas in uns, gerade weil sie sich nicht wichtig machen. Das große Selbstverständnis von Qualität und Geschmack - ohne Brimborium - treibt mich um, je mehr ich essen gehe. Und je mehr ich über Essen nachdenke (und nachdenken muss, sei es journalistisch oder mit Fragezeichen am Tisch). Ein paar Gedanken dazu habe ich hier aufgeschrieben: zum Artikel.
Der April war für mich kulinarisch vor allem von "Bodenständigem" geprägt. Gerichte, die durch ihr Handwerk sprechen, nicht durch Effekte. Die Emotionalität vermeintlich einfacher Gerichte bleibt oft länger im Gedächtnis als kunstvolle Konstruktionen. Dieser Monat hat das einmal mehr gezeigt – zu Gast in Südtirol, bei Südtirolern und am liebsten Wirtshaustisch.


Hotel Elephant, Brixen
Rindstatar mit gesalzener Butter und getoastetem Baguette
Der Zauber des Elephant in Brixen ist vielfältig und nährt sich durch große Tradition. Der prunkvolle Mantel der Geschichte(n), die dieses Haus trägt, ist schillernd, vielfältig, sagenumwoben. Hat doch der Elephant Soliman 1551 hier auf dem Weg von Indien nach Wien Station gemacht und dem Haus seinen Namen gegeben.
Zwischen Kachelofen, holzvertäfelten Wänden, altem Silberbesteck und hochwertiger Glaskultur für die enorme Weinkarte kann ich mein Glück kaum fassen, so sehr liebe ich die klassischen Hotels und Restaurants. Es wird so viel Seele und Geschichte transportiert und gepflegt. Kein Wunder, dass hier praktisch jeder Tisch das Tatar bestellt. Klassisches Rindstatar mit gesalzener Butter und getoastetem Baguette liest sich das auf der Speisekarte, wird am Tisch präsentiert, gemischt, gewürzt – und zum Probieren angeboten, bevor es ganz unprätentiös serviert als Nocke auf altem Porzellan mit grünem Dekor ankommt. Wer daran nicht alles liebt, hat vielleicht kein Herz für (Service- und Kulinarik-)Tradition.
📍 Hotel Elephant, Brixen, Südtirol
👨🏻🍳 Matthias Bachmann – @mathias__bachmann (auf Instagram)
er kocht auch im Gourmet-Restaurant des Hauses, der Apostelstube (1*)
🏆 16 Punkte / 3 Hauben Gault&Millau Österreich / Südtirol
Gasthof Jäger, Nals
Kalbskopf mit Vinaigrette
"Nose to tail" klingt heute oft wie eine Mode-Erfindung – ist aber eigentlich die längste (und naheliegendste) Tradition überhaupt. Alles zu verwerten, das brachte uns auch Spezialitäten wie den Kalbskopf ein. Allmählich hat er ein Revival und man bekommt die Kalbskopfsülze immer häufiger wieder, dünn aufgeschnitten und sauer angemacht. Hier im Gasthof Jäger weiß man aber sofort: das gibt’s hier schon immer! Wer sich die enge Straße von Nals aus nach oben schlängelt wird mit dem zart schmelzendsten Kalbskopf überhaupt belohnt, mit herrlich saurem Dressing und allerlei frischen Zutaten, die im genau richtigen Kontrast stehen. Der Inbegriff von Berggasthof-Küche, in allerbester, fein-modernisierter Güte.
📍 Gasthof Jäger, Nals, Südtirol
🏆 3 schwarze Hauben Gault&Millau Deutschland / Südtirol
Zum Vaas, Forstinning
Kalbsrahmschlegel mit Topfenspätzle
Schon in diesem Artikel kam es sicher durch: es lässt sich meiner Meinung nach von allen Seiten wenden: anderswo als beim Vaas kann man vielleicht anders essen, aber nicht besser. Philipp Schneider hat ein einzigartiges Fingerspitzengefühl für „einfach gutes Essen“, das immer auf dem Grat zwischen deftiger Tradition und natürlicher Ästhetik tänzelt. Es ist einfach eine Wonne, hier zu sitzen und die Tageskarte hoch und runter zu bestellen. Mein heißer Tipp ist z.B. das Rehgeschnetzelte (nirgends ist das so zart und sauber geputzt wie hier) – und die Spinatnocken sind selbst in Südtirol in der Qualität und mit dieser weich-buttrigen Fluffigkeit sehr schwer zu finden.
Was mich an diesem Palmsonntag besonders glücklich gemacht hat: der Kalbsrahmschlegel mit Topfenspätzle (für die werden hier übrigens die Dotter von den eigenen Hühnern verwendet) und ein richtig guter Wirtshaussalat, wie er gehört. Besser wird’s nicht.
📍 Zum Vaas, Forstinning bei München
👨🏼🍳 Philipp Schneider – und die ganze Familie Bauer @zumvaas (auf Instagram)
🏆 MICHELIN Bib Gourmand


Obers, München
Kartoffeltaschen mit Topfen, grünem und weißem Spargel
Man könnte meinen, es war Südtirol Monat im April und das ist ja in der Tat nicht das schlechteste. Das neueröffnete Obers, in dem meine Kunstdrucke “culinary timepieces” hängen dürfen, hat einen Südtiroler Küchenchef: Lukas Gietl. Es kommt nicht oft vor, dass mich jemandes Art zu kochen in Staunen versetzt, so wie hier. Mit welcher Nonchalance er kocht – und dabei handwerklich wie geschmacklich richtig starke Akzente setzt, aus der Verfügbarkeit kombiniert, sein „Ömakase“-Menü jeden Tag ändert – ist genauso bemerkenswert wie rar und erfreulich.
Hier: absolut perfekte Kartoffeltaschen mit Topfen und zweierlei Spargel.
📍 Das Obers, München, Winzerabend mit Christoph Polz
👨🏼🍳 Lukas Gietl, @dasobers (auf Instagram)
🏆 Eröffnung Anfang April; kommen bestimmt bald
Mokum, München
Tartelette mit Baiser, Sauerrahmeis, Rhabarber und Crème Patissière
Und noch ein Südtiroler, der für köstliche Schlutzkrapfen in der Münchner Gastronomie sorgt: Florian Rottensteiner hat gemeinsam mit Julia Kolbeck und Tim Meier das Mokum eröffnet. Am Alten Messeplatz gibt es jetzt feine Bistro-Küche in der Tagesbar, zu einem Glas Wein oder gleich einem ganzen Menü – auch ein super Spot für private Feiern und Co.
Ganz besonders hat es mir bei der Eröffnung das Dessert angetan: Ein Tartelette, das unter der perfekten Baiser-Haube Eis, Rhabarber und Creme verbirgt. Der Beweis, dass auch eine vermeintlich einfache Optik die pure Ästhetik sein kann – und was richtig gut ist, ohne große Deko auskommt. Das macht neugierig auf mehr!
📍 Mokum, München
👨🏼🍳 Florian Rottensteiner & Tim Meier @mokum.munich (auf Instagram)
🏆 Eröffnung Mitte April; kommen bestimmt bald
Was bleibt, ist einfach richtig gutes Essen.
Teller, die nicht beeindrucken wollten – und es gerade deshalb tun. Weil sie Substanz haben, geschmacklich, handwerklich, traditionell, emotional. Eine Stimmigkeit, die man schwer konstruieren kann. Der April war zwar kein Monat der großen Gesten im Sinne hochdekorierter Restaurants. Aber einer der starken Eindrücke.
Im Mai wird die Richtung vielleicht wieder eine andere. Gut zu wissen, dass gutes Essen dort entsteht, wo niemand etwas beweisen will – und man immer wieder an diese Tische zurückkehren kann.